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Roundabout Rhino
Wettbewerb Nashornkreisel Uster 2021
5. Rang Erwachsene (von ca. 180)
Uster, Zürichstrasse Richtung Zürich, Sternenkreisel, 07:38 Uhr
Verdammt, jetzt ist die Barriere beim Bahnhof zu. Also aussen rum, via Rhino Roundabout. Ich zwinge den Mazda nochmals in die Kurve. Wenn ich Gas gebe, schaffe ich noch vor der S5 den Bahnübergang bei Werrikon. Bin wohl nicht die einzige mit der Idee. Rückstau bis zum Illuster, toll! Wenn ich schon zu spät zum Vorsingen erscheine, kann ich dem Engagement addio sagen. Los, fahr endlich, lahme Socke! Ich trommle Beethovens Neunte auf das Steuerrad. Trällere die ersten paar Takte der Zauberflötenarie durch das offene Fenster: «Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen, Tod und Verzweiflung flammen um mich her …». Ein paar Köpfe auf dem Trottoir zucken zu mir herum. Egal, so bin ich wenigstens eingesungen, die Königin der Nacht aus Grüningen im Zürioberland. Endlich, der Kreisel. Das Eisenmonster von einem Nashorn blickt so grimmig, als wolle es Tamino verspeisen. Nur noch rein in den Kreisel, rum, raus. Aber, was tut der da? Veloheini, Gümmeler! Muss der sich auch noch in den Kreisel quetschen? Wozu haben wir mit unseren Steuern den Veloweg bezahlt? Typisch, schaut nicht, der Trottel, biegt einfach ab. Sollen doch die anderen schauen. Siehst du den Laster nicht? Pass auf! Ich trete auf die Bremse, werfe das Steuer herum. Das Heck meines Mazda bricht aus, schleudert, schlittert, schiesst auf die Front des Lasters zu. Dazwischen: eine kleine Gestalt, neongelber Velohelm, Schulrucksack, ein Blick aus erschreckten Augen. Ein Körper kracht in die Windschutzscheibe, sie splittert zu Griess, tausend Diamanten gleich. Ein Schrei, ein Knall, Schwärze.
Kopfschmerzen dröhnen, mein Schädel eine Kesselpauke, wie ein Messer schneidet grelles Scheinwerferlicht in meine Augen. Ich blinzle in das Gleissen, erkenne einen Weisskittel. Dumpf dringt seine Stimme durch das Gewummere in meinem Kopf. «Sie sind wach. Wie fühlen Sie sich?»
«Sch…limm. Was … ist … passss…iert?» Ich lalle wie nach durchzechter Nacht.
«Sie hatten einen Unfall, am Nashornkreisel. Sie werden wieder.»
«Die …Velo…?»
«Die Schülerin auf dem Velo?» Der Arzt schüttelt nur den Kopf und nestelt am Infusionsschlauch. «Schlafen Sie jetzt, Sie müssen sich erholen.» Dunkelheit legt sich über mich.
Uster, Zürichstrasse Richtung Zürich, Sternenkreisel, 07:38 Uhr
Verdammt, jetzt ist die Barriere beim Bahnhof zu. Also aussen rum, via Rhino Roundabout. Wenn ich Gas gebe, schaffe ich noch vor der S5 den Bahnübergang bei Werrikon. Aber nein. Rückstau bis Illuster, toll! Zu spät zum Vorsingen, addio, Engagement. Los, los, fahr endlich, lahme Nuss! Ich trommle Carmens Habanera auf das Steuerrad. Trällere Lucias Wahnsinnsarie: «Ein Schauer rieselt kalt mir durchs Herz, durch alle Glieder. O weh!». Ein paar Köpfe rucken zu mir herum. Egal. Sie muss eingesungen sein, die Lucia aus Grüningen im Zürioberland. Endlich, der Kreisel. Nur noch rein, rum, raus. Was tut die Velotante da? Soll doch auf den Veloweg, den haben wir mit unseren Steuern bezahlt! … Halt, was tue ich hier? Das ist … da war ich doch schon … genau hier … genau jetzt … die Velofahrerin schaut nicht, wieder nicht. Der Lasterchauffeur sieht sie nicht. Ich drücke das Gas durch statt zu bremsen. Der Motor heult auf. Das Heck bricht aus. Der Kühlergrill des Lasters schiesst auf mich zu, drückt die Seite meines Mazda ein, Metall birst, kreischt. Ein Schrei, ein Knall, Schwärze.
Kopfschmerzen hämmern, Wagner fortissimo bei voller Orchesterbesetzung, und ich mittendrin. Ich blinzle ins Gegenlicht. Der weisse Kittel. Die Lippen des Arztes bewegen sich. Fragmente von Worten dringen durch: «Sie … wach. Wie fühlen … sich?»
«Sch…sse. Was ist passiert?»
«Ein Unfall am Nashornkreisel.»
«Die … Velofahrerin?»
Der Arzt schüttelt den Kopf und öffnet den Hahn am Infusionsschlauch. «Schlafen Sie jetzt.»
Dunkelheit senkt sich über mich.
Uster, Zürichstrasse Richtung Zürich, Sternenkreisel, 07:38 Uhr
Verdammt, die Barriere beim Bahnhof ist zu. Also aussen rum, via Rhino Roundabout, noch vor der S5 bei Werrikon übers Gleis. Los, los, los, fahr endlich, lahmes Aas! Ich schreie ihm La Forza del Destino hinterher: «Ein grausames Unglück zwingt mich, ach, zum Leiden!» Ein paar Köpfe wenden sich mir zu. Egal, die Leonora aus Grüningen singt ein. Endlich, der Kreisel. Und da sind sie auch schon wieder: die Velofahrerin, der Laster. Ist das ein Scherz, ein täglich-grüsst-das-Rhinozeros-Scherz? Die Velofahrerin schaut nicht, wieder nicht. Der Lasterchauffeur sieht sie nicht. Ich reisse das Steuer herum, der Mazda schert aus. Trotzdem: ein Schrei, ein Knall, Schwärze.
Ich ignoriere das Pochen im Kopf, blinzle, der Arzt steht da, wie immer. Ich achte nicht auf seine Worte, ich kenne sie. Wie komme ich hier je wieder raus, aus dieser Endlosschlaufe? Ist die Schülerin auf dem Velo zu retten? Der Arzt öffnet den Infusionsschlauch. Dunkelheit umfängt mich.
Uster, Zürichstrasse Richtung Zürich, Sternenkreisel, 07:38 Uhr
Verdammt, die Barriere beim Bahnhof ist zu. Dann aussen rum, via Rhino Roundabout. Ich bin in der Schleife, wieder. Nehme den Fuss vom Gas. Das Vorsingen? Gestorben. Ich trommle nicht aufs Steuerrad, singe nicht. Stattdessen drehen sich meine Gedanken im Kreis. Die Velofahrerin schaut nicht, wieder nicht. Der Lasterchauffeur sieht sie nicht. Ich schaue auf. Aus seinen Metalläuglein starrt mich das Nashorn an, im Galopp erstarrt. Ich biege in den Kreisel ein. Die Velofahrerin schwenkt aus, vor meine Stossstange. Der Lastwagen rast auf sie zu. Jetzt stirbt gleich ein junger Mensch. Nein, hier wird nicht gestorben. Ich sehe das Nashorn an. Es blinzelt mir zu. Ich bremse, werfe das Steuer herum, streife die Velofahrerin am Hinterrad. Sie stürzt weich ins Gebüsch. Ich schiesse an ihr vorbei, hinein in den Kreisel. Ruhe überkommt mich. Das Nashorn weiss den Weg. Der Mazda hebt ab, einen Herzschlag lang, neigt seine Nase und kracht durch die Betonstreben in die Unterführung hinab. Unten steht ein kleiner Junge, starrt mit tellergrossen Augen hoch zu mir. Ich stürze auf ihn zu. Ein Schrei, ein Knall, Schwärze.
Kopfschmerzen dröhnen. Ich blinzle, der Arzt steht da, die treue Seele. Sein Mund bewegt sich, aber ich höre nichts. Ein Gedanke setzt sich fest: Roundabout Rhino, das nächste Mal nehme ich den Zug!